Frieden lag noch lange nicht in der Luft: Kriegskrüppel, Hunger, die Spanische Grippe, an der Tausende starben, über die aber wegen der Kriegszensur nur in Spanien geschrieben werden durfte …
Buchvorstellung der Neuerscheinung:
Günther Gerstenberg: Der kurze Traum vom Frieden.
Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Umsturzes in München 1918
mit einem Exkurs über die Gießener Jahre von Sarah Sonja Rabinowitz von Cornelia Naumann, edition AV, 24,90 Euro
am Montag, 29. Januar 19 Uhr im DGB-Haus
Schwanthalerstraße 64, 80336 München mit freundlicher Unterstützung des Kulturreferats der Landeshauptstadt
Als das deutsche Kaiserreich im Sommer 1914 gegen Russland, Frankreich und England los schlug, waren auch Sozialdemokraten mit von der Partie.
Sie stellten das Wohl der Nation über die Solidarität mit den Arbeitern der anderen Völker. Erst waren es nur wenige, dann wurden es immer mehr, die das Gemetzel an den Fronten ablehnten und gegen den „Burgfrieden“ der SPD protestierten, unter ihnen Kurt Eisner und Sarah Sonja Lerch, geb. Rabinowitz.
Am 29. Januar 1918, vor genau Hundert Jahren, streikten auch in München Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter für Frieden und Volksherrschaft.
Ernst Lörcher im Jahr 1974:
„Mein Vater hat politische Plakate im Fenster von seinem Mützenmacher-Laden im Lehel hängen gehabt. Das hat immer wieder Ärger gegeben. Mit einigen Nachbarn – und mit der Obrigkeit.
Wenn der Vater von Versammlungen gekommen ist, hat er öfter vom Eisner erzählt oder von den aktiven Jugendlichen aus der Ecke vom Felix Fechenbach, von der Betty Landauer und der Sonja Lerch …
Vor allem die Frauen haben ihn stark beeindruckt … Die Sonja Lerch hat die Revolution ja nicht mehr erlebt, sie ist noch davor in Stadelheim ziemlich mysteriös ums Leben gekommen.
Eingesperrt war sie dort, weil sie mit Eisner in Waffenfabriken gegangen ist und von Frau zu Frau erfolgreich zu Streiks aufgerufen hat. Sie war eine glühende Pazifistin und für meinen Vater eine begeisternde und überzeugende Rednerin.
Die Betty Landauer war eher ruhig. Aber auch die konnte wohl scharf denken und fest diskutieren.
Einmal wollte mein Vater Flugblätter vor den Bayerischen Geschützwerken verteilen und ich durfte ausnahmsweise mit meinem neuen Radl mit, weil schulfrei war.
Aber die Polizei war schon vor uns da. Wir haben abgedreht und uns mit den anderen hinterm nächsten Eck getroffen. Weil es den Frauen und Männern da mit uns Kindern zu gefährlich war, wurde die Verteilung der Flugblätter auf den nächsten Tag verschoben.
Danach sind eine Handvoll Leute und der Vater mit dem Radl zu einem Willi gefahren und haben beratschlagt. Wir Kinder haben derweil im Hof Räuber und Schandi gespielt …“
Die Behörden konnten den Ausstand noch einmal „in ruhigere Bahnen lenken“. Sie zögerten das Ende nur hinaus. Im November 1918 brachen die Monarchien in Deutschland zusammen.
… und da gäbe es noch die notwendige Erinnerung an die mutige Mitstreiterin Sarah Sonja Lerch, geborene Rabinovitz, die im Gefängnis Stadelheim in der Haft erhängt aufgefunden wurde.
Dann gibt es demnächst
Mi 21.2.19 um 11h Kranzniederlegung zum 99. Jahrestag der Ermordung Kurt Eisners:
in der Kardinal-Faulhaber-Straße: Konstantin Wecker trägt die Gedenkrede von Heinrich Mann anlässlich der Trauerfeier für Kurt Eisner im Münchner Odeon am 16. März 1919 vor.
und zu den Themen des
plenumR, das nächste am 28.2. ab 19h im Cafe 5vor12
Georgenschwaig-Straße 26 | U2 Milbertshofen
bei dem die Arbeitskreise sich gegenseitig berichten und Neue sich informieren können, was bereits in Arbeit ist und herausfinden, was sie beitragen wollen …
inzwischen gibt es zwei Mailing-Listen dazu, eine offene mit Veranstaltungs-Ankündigungen, eine interne mit Protokollen und Arbeits-Papieren … plenum_r-subscribe@lists.riseup.net
Neues Buch zu Sarah Sonja Lerch von Cornelia Naumann
Do 22. März 2018 Buchpremiere mit Cornelia Naumann in München mit Lesung aus »Der Abend kommt so schnell« 19 h Seidlvilla Nikolaiplatz 1b mit Cornelia Naumann
Der Abend kommt so schnell
Roman, 409 S. / 13 x 21 cm / Klappenbroschur Premium, erscheint Februar 2018, Vorbestellung möglich ISBN 978-3-8392-2199-0
per Post bestellen für 16,00 €
Münchens vergessene Revolutionärin
Für Sonja ist der Frieden zum Greifen nah. Mit Kurt Eisner und anderen Pazifisten will sie im Januar 1918 nach vier entbehrungsreichen Jahren den Krieg beenden.
Eisner und sie rufen den Generalstreik aus, doch die Aktivisten werden verhaftet. Ihr Ehemann sagt sich öffentlich von Sonja los. Er will seine berufliche Karriere nicht durch das skandalöse Benehmen seiner Gattin gefährden.
Nur Fritzi, eine junge Munitionsarbeiterin, besucht die Gefangene. Sie will das Geheimnis der bewunderten Revolutionärin erfahren. Vor dem Leser enthüllt sich das tragische Leben einer Frau zwischen zwei Welten.
http://www.gmeiner-verlag.de/programm/titel/1741-der-abend-kommt-so-schnell.html
Gegensprechanlage Fritz Revolutionsgespraeche mit Cornelia Naumann und www.feldcafe.de 5vor12 nach zu hören 1 h
Zur Buchvorstellung „Der kurze Traum vom Frieden“ kamen am 29. Januar ins DGB-Haus etwa 150 Leute. Günther Gerstenberg las zwei Kapitel aus dem Buch vor und wurde gefragt, warum er sich denn eigentlich mit diesen verstaubten Sachen beschäftigen würde.
Er nannte zwei Gründe und sagte sinngemäß: Erstens sei er unzufrieden damit, dass viele Menschen, die sich dafür engagiert haben, die schlechten Verhältnisse zu verändern, und die dabei ihre Freiheit oder sogar ihr Leben riskiert haben, im Dämmer des Vergessens verschwunden sind. Er wolle, soweit das möglich ist, diesen Menschen ihr Gesicht, ihre Stimme, ihre Haltung und ihre Biographie zurückgeben.
„Über Kurt Eisner wissen wir viel. Die bairische Staatspartei wird ihn, den ehemaligen Beelzebub, dieses Jahr rehabilitieren. Bekannt sind auch Oskar Maria Graf, Erich Mühsam, Ernst Toller, B Traven und Gustav Landauer. Sie sind ebenfalls rehabilitiert. Es ist nicht strafbewehrt, sich auf sie positiv zu beziehen. Aber es gibt andere, über die immer noch Schauermärchen im Umlauf sind, zum Beispiel Thekla Egl, Rudolf Egelhofer, Max Levien und Eugen Leviné. Und es gibt die große Masse derer, die so unsichtbar sind, als ob sie nie dagewesen wären, unter ihnen vor allem Frauen. Da ist noch viel zu tun.“
Sein zweite Motiv ist: Politik heute beruft sich immer auf ihre Traditionen, findet als Begründungen für ihr Handeln immer die passenden Kronzeugen ihrer Vergangenheit. Parteigeschichtsschreibung ist fast immer Legenden-Bildung, Hofberichterstattung und Mythologisierung. Aber: Diese Vergangenheit hat es SO nie wirklich gegeben! Geschichte wird für schlechte Politik instrumentalisiert. Dabei kann schlechte Politik nicht mit guten Argumenten begründet werden. Das trifft auf die Zeit vor hundert Jahren genauso zu wie auf unsere Gegenwart.
Gerstenberg hofft, dass die Lektüre des Buches die Parallelen zum Heute deutlich macht und dass die Akteurinnen und Akteure vor hundert Jahren uns für die Lösung unserer gegenwärtigen Probleme einige Hinweise geben können. Eine breite Rolle hatten die Frauen in der USPD, die bisher in der Archiv-Arbeit und Literatur so herunter gespielt wurde, weil die Polizei-Spitzel zu schreiben aufhörten, wenn sie sprachen.
Ernst Toller schrieb in seinem Stück “Masse Mensch” über die Volkswirtschaftlerin Dr. Sarah Sonja Lerch, die sich nach Wochen Knast in München mit Zahnschmerzen ohne Behandlung wohl selbst ermordete: Nein, kein Freitod für die damals 36jährige, aber ein Tod im Knast, zu dem die Akten schweigen: Für Sarah Sonja Lerch wird es am 29.3.18 (Gründonnerstag) am jüdischen Friedhof an der Ungererstraße ein Gedenken geben
Im Anschluss an die Lesung fragte eine Teilnehmerin, ob Gerstenberg in dem Buch auch schreibe, was die Streikenden vor 100 Jahren gedacht und diskutiert haben. Das konnte er beantworten:
Sie haben diskutiert, ob sie gewaltfrei oder mit Gewalt oder irgendwie dazwischen vorgehen sollen. Sie haben diskutiert, ob bei der herrschenden Blödheit überhaupt ein Engagement sinnvoll ist. Sie haben diskutiert, wie sie mit der eigenen Angst, der eigenen Resignation und ihren Zweifeln umgehen können. Und sie haben diskutiert, ob es sinnvoll ist, etwas zu tun, auch wenn die ganze Sache sinnlos aussieht und gnadenlos scheitert. Wörtlich: „Das denken und diskutieren heute viele genauso. Und viele kommen zu dem Schluss, dass sie TROTZ ALLEDEM nicht aufhören dagegen zu sein, dagegen zu reden und dagegen zu handeln.
Der Schlussapplaus zeigte, dass die Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung nicht ganz unzufrieden nach Hause gingen.
für www.raete-muenchen.de und für die freie Presse frei, Fritz Letsch
Fotos auch gerne in besserer Qualität auf Anfrage,
Günther Gerstenberg: Der kurze Traum vom Frieden. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Umsturzes in München 1918
mit einem Exkurs über die Gießener Jahre von Sarah Sonja Rabinowitz von Cornelia Naumann, edition AV, ISBN: 978-3-86841-189-8, 24,50 Euro.
Als nächste Buchvorstellungen steht schon ein kleinerer Gesprächskreis an: Das vegane Cafe “5vor12”, das www.feldcafe.de der Volxküche gibt den Rahmen für die erste Präsentation von Simon Schaupp: Der kurze Frühling der Räterepublik – Mi 7.2. um 20 h U2 Milbertshofen
der Zenzl-Mühsam-Saal in der Seidlvilla wird am 25. März der Ort für die Präsentation des historischen Romans zu Sarah Sonja Lerch: Der Abend kommt so schnell.
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