Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reiter, etc … Fraktionsvorsitzende, etc …  im Entwurf-Stadium, endgültige Fassung bei den Verbänden

wir wenden uns heute an Sie, um unserer sehr großen Verwunderung über die aktuellen Vorgänge auf Münchens öffentlichen Plätzen Ausdruck zu verleihen. 

Die IAA komme nach München, hieß es, und die nachhaltigen Mobilitätskonzepte würden auch in der Stadt direkt ausgestellt und erlebbar gemacht. Dazu käme ein von der Stadt organisierter Mobilitätskongress und mit ihm acht ausgewählte innovative Mobilitätsprojekte. Soweit die Theorie und das Versprechen.

Was wir jetzt aber in Münchens „guter Stube“ vorfinden sind Umbauten ungeahnten Ausmaßes, ein Missbrauch des öffentlichen Raums als Werbeträger der großen Automobilkonzerne und eine inakzeptable Einschränkung des öffentlichen Lebens. Unsere Projekte rund um den Mobilitätskongress wurden alle bis zur Unkenntlichkeit herabgeregelt und dadurch fast schon der Lächerlichkeit preisgegeben:

Eine autofreie Straße, die Parkstraße, durch die jetzt Autos fahren, ein FreiRAUM-Viertel heruntergekürzt auf ein paar Parklets, ein für zwei Monate geplanter Informations- und Mitmachcontainer des BUND Naturschutz rund um die aktuellen Fragen zu Verkehrswende, der von ursprünglich geplanten und beantragten zwei Monaten vom KVR auf zwei Wochen gekürzt wurde und deshalb aus Kosten und Nachhaltigkeitsgründen vom BUND Naturschutz abgesagt werden musste.

Eine sichere Kreuzung des ADFC, die sich jetzt als 2D-Teilkreuzung mit „Spielteppich“-Charakter präsentieren darf, ein Mobilitätswendecamp, das, damit die Campierenden es nicht „zu gemütlich“ haben und immer einsehbar ist, was dort geschieht, ohne Veranstaltungszelt auskommen muss und im ihm zugestandenen Platz stark begrenzt wurde sowie eine Bündnis-Sternfahrt, die elf Monate lang vom ADFC akribisch geplant wurde und jetzt acht Tage vor der Demo ganze Streckenzüge untersagt oder erheblich gekürzt werden sollen. Das hinterlässt uns ehrlich gesagt sprachlos.

Das gigantische “Förderprogramm” der Automobilbranche in der Münchner Innenstadt hingegen sieht vor, dass Mercedes den Odeonsplatz asphaltieren darf (?) und die Durchfahrt für alle Radelnden sperrt, dass der Marienplatz schon fast die Hochhausdebatte wieder ankurbeln könnte, der Wittelsbacherplatz mit einer riesigen Leinwand vollgerummelt werden darf und dann thront zu allem Überfluss noch auf dem Königsplatz ein Auto auf einer Säule vor der Glyptothek…

Auch die angeblich für emissionsfreien Verkehr vorgesehene Blue Lane verdient diesen Namen nicht, denn es dürfen auch Hybrid-Fahrzeuge darauf fahren, die viel zu oft nur theoretisch auch elektrisch fahren könnten. Die public Spaces sind so public auch nicht, so wird den Fußgänger:innen der Weg über den Königsplatz verwehrt. Selbst von öffentlichen Flächen aus werden Fotos auf den Straßenverkehr durch Sicherheitsdienst und Polizei unterbunden.

Dass Hauptradrouten gesperrt und der ÖV-Knoten Odeonsplatz unterbrochen wird, ist bezeichnend für die Fokussierung nur auf Autos. Den Gipfel dieses scheinheiligen Greenwashings schließlich bildet die Alibi-Aufstellung einiger Bäume auf dem Max-Joseph-Platz – allerdings nur für die Dauer der IAA.

So etwas hätten wir in München für ausgeschlossen gehalten – denn sonst wird, wenn es um Verkehrswende-Maßnahmen geht, jede noch so kleine Umgestaltung des öffentlichen Raums mit enormen Planungsaufwand versehen: Jeder Parkplatz-Wegfall wird minutiös und monatelang diskutiert, jede Tempobeschränkung mit Kraftausdrücken versehen, beschlossene Maßnahmen kommen einfach nicht auf die Straße, denn der KFZ-Verkehr würde in seiner Leistungsfähigkeit zu sehr eingeschränkt und zu guter Letzt werden dann noch die Akteure im Umweltverbund gegeneinander ausgespielt.

Um den Verkehr deutlich zu reduzieren und bis 2035 zur klimaneutralen Stadt zu werden, passiert viel zu wenig. Die IAA mitsamt der gigantischen Menge an Müll, die sie hinterlassen wird, wird dazu auch nicht beitragen.

Dabei sind es doch auch Ihre erklärten Ziele aus dem Koalitionsvertrag und Ihre Vorgaben, die wir mit unserem Engagement und unserem Wissen und unserer Arbeit versuchen umzusetzen, und das alles ohne finanzielles Eigeninteresse – ganz im Gegensatz zu den großen Automobilkonzernen.

Was nun? Möchten Sie uns wirklich so deutlich aufzeigen, dass unsere gesamte – größtenteils ehrenamtliche – Arbeit überhaupt nichts wert ist und dass der öffentliche Raum am Ende eigentlich doch an den Meistbietenden verkauft werden kann? Dass Demonstrationen eigentlich nur stören und Versprechungen wie beispielsweise Umleitungen für den Radverkehr nur Schall und Rauch sind? Ist das wirklich Ihre Botschaft an uns?

Sehr geehrte Verantwortliche, wir können das nicht glauben und möchten hier in aller Deutlichkeit an Sie appellieren: Machen Sie die Sternfahrt wie geplant möglich und erlauben Sie uns einen gemeinsamen, fairen Dialog der Stadtgesellschaft während und nach der IAA. Sorgen Sie dafür, dass nach der IAA die Verkehrswende-Maßnahmen wie Busbeschleunigung, Tramausbau, sichere Radwege und Kreuzungen schnell und zügig umgesetzt und nicht mehr länger innerhalb der Stadt zerredet werden. Das sind sie Ihrer aktiven Bürger:innenschaft schuldig!

Mit freundlichen Grüßen

ADFC, BUND Naturschutz, Fahrgastverband PRO BAHN, FreiRAUM-Viertel, Sommerexperiment Parkstraße, Mobilitätswendecamp München, kontraIAA,  stuhldisteln…  autofrei leben! e.V., Initiative “Wohnen ohne Auto” www.bn-muenchen.de   www.facebook.com/bn.muenchen

Schon in unserem ersten Aufruf sind wir davon ausgegangen, dass die @IAAmobility  und ihre Open Spaces zu einer temporären Privatisierung der Stadt führen. Die Platz- und Benutzungsordnung (iaa.de/fileadmin/IAA_) toppt hier aber nochmal jeden Pessimismus.

Gerne könnte man noch erwähnen, dass das Thema Corona gegen die Proteste instrumentalisiert wird:

Im Camp müssen Einbahnstraßen um die Zelte herum eingerichtet werden, während in den IAA-Open-Spaces alleine schon der Aufbau so gestaltet ist, dass ein Abstand schon bei niedrigen Besucherzahlen nie und nimmer eingehalten werden kann.

Geschweige denn, dass irgendjemand von den Securities sich für die Einhaltung der Abstände zuständig fühlt. Und dies nicht nur im Freien, sondern auch in den nahezu geschlossenen Räumen wie am Wittelsbacherplatz.

Du darfst mich gern verfolgen ...