Forscher der LMU München haben ein Jahr lang Münchens Corona-Inzidenz im Abwasser gemessen und waren den Behörden mit ihren Vorhersagen meilenweit voraus. Nun steigen die Zahlen in Portugal, und erste Warnungen sagen uns höhere Werte im Juli voraus:

München – Der Inzidenzwert aus der Kanalisation: Durch die Entnahme von Abwasserproben ist es Forschern gelungen, die Coronavirus-Infektionszahlen für einzelne Stadtgebiete von München verlässlich zu bestimmen. Sie waren sogar schneller als die Gesundheitsämter und das Robert-Koch-Institut (RKI). tz.de/muenchen/stadt/corona-abwasser-muenchen-stadtgebiet-inzidenz-studie-verblueffend-lmu-90931763.html

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reiter,

in der Anlage erhalten Sie meinen offenen Brief an alle Mitarbeitenden im Gesunde-Städte-Projekt und Gesunde-Städte-Netzwerk.
Ich war damals in der ersten Projektrunde des WHO-Projekts Gesunde Städte (Start 1986) für einige Jahre ehrenamtliche Leitung des Arbeitskreises 1 Gesundheit und Gesundheitsversorgung der Landeshauptstadt München. Die Geschäftsführung hatte Rita Fehrmann-Brunskill vom Gesundheitsreferat in der Dachauerstraße.

Im letzten Jahr ist mir besonders aufgefallen,

dass die Erkenntnisse aus der Zeit damals wieder in Vergessenheit geraten sind und wohl niemals in allen (Landes-)Einrichtungen ankamen. So war ja Gesundheit gerade mehr als nur die Abwesenheit von Krankheitserregern. Als es damals einen Störfall an einem Reaktor gab, war oberstes Gesetz, jegliche Unruhe in der Bevölkerung zu vermeiden.

Vielleicht können Sie sich an Petersburg erinnern.

In den Medien wurde verkündet, alles in Ordnung und im Gesundheitsreferat waren stündliche Krisensitzungen. Als Leiten des AK 1 Gesundheit und Gesundheitsversorgung habe ich davon erfahren. Anfang letzten Jahres wurden Horrorszenarien in den Medien und im Rundfunk verbreitet und dennoch durften täglich Flugzeuge aus den verschiedensten Ländern ihre Passagiere entlassen und diese durften ohne Kontrolle und ohne Quarantäne ins Land. Warum die Informationspolitik gegenüber der Bevölkerung geändert wurde, ist mir unbekannt.

In München gab es damals zahlreiche Initiativen,

es war eine Aufbruchstimmung. Der Kauf einer Käsesemmel rund um den Marienplatz ist heute eine Selbstverständlichkeit. Der Wunsch nach einer Alternative zur Leberkäse-Semmel war meiner Erinnerung nach einer der ersten Wünsche aus dem
Gesunde-Städte-Projekt, der schnell und leicht erfüllt war.

Wenn es gelingt, die Aufbruchstimmung von damals wieder in der Stadt zu erzeugen,

wird München keinen dritten Lockdown brauchen. Sie als Oberbürgermeister werden niemals solch detaillierte Maßnahmen treffen können, dass wirklich ein Infektionsgeschehen verhindert wird. Sie sind darauf angewiesen, dass die Münchner Bürgerschaft an Ihrer Seite steht und ebenfalls einen dritten Lockdown verhindern möchte. Ohne Eigenverantwortung der Bürgerschaft ist eine gesunde Stadt unmöglich.

Die Anordnung und Kontrolle von wirksamer Infektionsprävention

würde solche massiven Grundrechtseinschränkungen erfordern, dass sie vermutlich auf massiven Gegenwind stoßen würden, wie berechtigt auch immer das Anliegen nach wirksamer Infektionsprophylaxe wäre. Alle müssen über Infektionswege und -prävention informiert sein, damit solche Sprüche wie «Ich bin zwei Mal geimpft und darf alles, aufpassen ist völlig unnötig» unterbleiben.

Einen wichtigen Beitrag kann die Stadtverwaltung aber selbst leisten:

Mehr Handwaschbecken im öffentlichen Raum. Handhygiene ist das A und O bei der Übertragung von Infektionskrankheiten, mit mehr Handwaschbecken lässt sich dies verhindern. Ständiger Gebrauch von Desinfektionsmitteln schädigt die Haut und ist bei Hautkrankheiten und vielen Menschen mit Allergien unmöglich – abgesehen davon sind Wasser und Seife umweltschonender.

Wenn Sie die vielen Initiativen, Einrichtungen und Gremien in der Stadt wieder beteiligen und vereinen und um Mithilfe bitten, muss es keinen dritten Lockdown geben. Mit freundlichen Grüßen, Erika Lorenz-Löblein


PS: Das Gesunde-Städte-Projekt und das Gesunde-Städte-Netzwerk

waren ein WHO-Projekt bis etwa 2001, das im Gesundheitsladen und im Selbsthilfezentrum München koordiniert wurde,

In zwei Artikeln feiert Wolfgang Goede die Selbsthilfe– Bewegung, die er selbst als enorm hilfreich erlebt hatte, als Wissenschafts-Journalist kennt er auch die oft schwerfälligen Systeme unserer Hochschul-Landschaft, die Adorno längst als „Halbbildung“ – nur für berufliche Qualifizierungen – eingeschätzt hatte:

„Die 1980er waren die Gründerjahre der Selbsthilfe. Hätte uns die Pandemie damals erwischt, wie weit wären wir mit Fax-Tech gekommen? Faxe – damals Non-Plus-Ultra modernster Kommunikation – eroberten gerade die Welt. Mit ihnen wäre das Leben vermutlich in Papier erstarrt, Selbsthilfe nie aus den Startblöcken gekommen.

Im Corona-Jahr 2020 halten uns indes Online und elektronische Kommunikationsplattformen gut über Wasser. Auch die Selbsthilfe. Mit BBB – BigBlueButton Plattform – macht das SHZ rundum Mut zur neuen Virtualität.Als Pionier und Scout war das Selbsthilfezentrum München seiner Zeit stets um Nasenspitzen voraus – drei Beispiele:

• Das SHZ war einer der historischen Schlüsselakteure, gegen den Widerstand politischer Parteien im Gesundheitswesen das Patienten-Empowerment zu verwurzeln. Und es damit als seine „vierte Säule“ zu etablieren, wie dereinst Gesundheitsminister Seehofer die Selbsthilfe pries.

• SHZ-Repräsentanten sind methodisch über die Ansätze der Gründerjahre weit hinausgewachsen. Etwa wenn sie sich in der Fachliteratur mit dem Selbsthilfebegriff, seiner langen Historie, Defiziten ebenso wie Alternativen kritisch auseinandersetzen2 – auch mit scharfem Blick auf die Zukunft und ihren gesellschaftspolitischen Hürden.

• So setzt sich das SHZ dafür ein, mit Trainings und Selbstversuchen, die vorwiegend in einheimischer Hand befindliche Selbsthilfe für andere Kulturen und deren Vorstellungen von Gesundheit und sozialer Interaktion zu öffnen. Selten gab es einen couragierteren Appell für Interkulturalität, heute nötiger denn je.“

Selbstorganisation braucht Selbst-Bewusstsein, das sich abgrenzen UND organisieren kann: Derzeit gibt es Tausende von Schwätzern, die ein besseres Modell der Welt erklären möchten, aber keineR hört ihnen zu: Weil der Anfang der Ordnung nicht positiv spürbar ist, vor allem in der Verlassenheit der COVID-Leugner zwischen singenden eso-Mädchen, wie Hare-Krishna-Jünger voll Inbrunst und ohne Kontakt zur Realität der Anderen.

Bewusstseinsbildung legt das Kritische Denken in uns wieder frei, verschüttet von der Angst der Negativität und Verzweiflung, dass der Brunnen unendlich tief und tödlich wäre … wer sagt dir, dass dort unten nicht Blumen blühen und Erdbeeren wachsen? War das im „Tod des Märchenprinzen?“

Du darfst mich gern verfolgen ...